Neue Berechnungsmethode könnte zu kräftiger Erhöhung führen
Die nächste Anpassung des Mindestlohns in Deutschland dürfte deutlich höher ausfallen als in der Vergangenheit. Grund dafür ist eine neue Berechnungsgrundlage, die sich nicht mehr ausschließlich an der Tarifentwicklung der vergangenen Jahre orientiert, sondern auch einen Zielwert von 60 Prozent des Medianlohns der Vollzeitbeschäftigten berücksichtigt. Dies wurde von der Mindestlohnkommission bereits Anfang 2025 in einer neuen Geschäftsordnung festgelegt. Eine aktuelle Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) sowie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) zeigt, dass zur Erreichung dieses Ziels ein Mindestlohn von etwa 15 Euro erforderlich wäre.
Mindestlohn soll 60 Prozent des Medianlohns erreichen
Die Berechnungen verschiedener Datenquellen ergeben minimale Abweichungen: Während die Fortschreibung der Daten des Statistischen Bundesamts für das Jahr 2026 auf einen Mindestlohn von 14,88 bis 15,02 Euro hindeutet, wäre für 2027 ein Anstieg auf 15,31 bis 15,48 Euro erforderlich. Nach OECD-Berechnungen wäre sogar schon 2025 ein Mindestlohn von 15,12 Euro notwendig, um die 60-Prozent-Marke zu erreichen.
In der Vergangenheit lag Deutschland unter diesem internationalen Referenzwert, der auch in der Europäischen Mindestlohnrichtlinie verankert ist. Besonders kritisch wird dabei die Entscheidung der Mindestlohnkommission aus dem Jahr 2023 bewertet, bei der trotz starker Inflation lediglich eine geringe Erhöhung auf 12,82 Euro beschlossen wurde. Dies hat den Anpassungsbedarf weiter erhöht.
Experten erwarten stärkeren Anstieg als in der Vergangenheit
Laut den Forschern von WSI und IMK wird die kommende Mindestlohnanpassung stärker ausfallen als nach dem bisherigen Modus, der sich nur an der Tarifentwicklung orientierte. Nach diesem Ansatz wäre lediglich eine Erhöhung auf etwa 14 Euro zu erwarten. Die Studie zeigt jedoch, dass dieser Wert wohl eher die Untergrenze der Verhandlungen darstellen wird. Je nach Datengrundlage variiert die Berechnung der Tarifentwicklung leicht:
Daten des Statistischen Bundesamtes: 13,71 bis 13,92 Euro
Deutsche Bundesbank oder WSI-Tarifarchiv: bis zu 14,26 Euro
Da bis zur endgültigen Entscheidung weitere Tarifabschlüsse hinzukommen könnten, ist ein noch höherer Wert wahrscheinlich.
Experten erwarten stärkeren Anstieg als in der Vergangenheit
Transparenz durch zweistufiges Anpassungsverfahren
Die Forscher empfehlen ein zweistufiges Verfahren für die anstehende Mindestlohnanpassung:
Eine reguläre Erhöhung basierend auf der Tarif- und Preisentwicklung.
Eine zusätzliche Komponente, um den Mindestlohn schrittweise an die 60-Prozent-Marke des Medianlohns anzupassen.
Dies würde mehr Transparenz in den Entscheidungsprozess bringen und die Glaubwürdigkeit der Mindestlohnkommission stärken, so die Studienautoren Dr. Malte Lübker, Prof. Dr. Thorsten Schulten (WSI) und Prof. Dr. Alexander Herzog-Stein (IMK).
Die Analyse zeigt zudem, dass die Mindestlohnkommission in der Vergangenheit vor allem die Kaufkraftverluste durch Inflation ausgeglichen hat, jedoch nicht mit der allgemeinen Lohnentwicklung und den Produktivitätssteigerungen Schritt gehalten hat. Der sogenannte Kaitz-Index, der den Mindestlohn ins Verhältnis zum Medianlohn setzt, sank zwischen 2015 und 2021 von 48,2 Prozent auf 44,8 Prozent. Erst die Anhebung auf 12 Euro durch den Gesetzgeber 2022 führte zu einem Anstieg auf 51,7 Prozent im Jahr 2023.
Positive Bilanz nach zehn Jahren Mindestlohn
Trotz Kritik am niedrigen Mindestlohnniveau fällt die Gesamteinschätzung nach zehn Jahren Mindestlohn in Deutschland positiv aus. Die Studie betont, dass das Instrument mittlerweile fest etabliert ist und von keinem relevanten Akteur mehr infrage gestellt wird.
Besonders profitieren Beschäftigte im Niedriglohnsektor, da ihre Löhne durch die Einführung des Mindestlohns – insbesondere seit der Erhöhung auf 12 Euro – deutlich gestiegen sind. Dies habe die Lohnungleichheit reduziert, insbesondere zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Ost- und Westdeutschland.
Entgegen früherer Befürchtungen habe die Einführung des Mindestlohns keine massiven Arbeitsplatzverluste verursacht. Prognosen hatten bis zu 1,4 Millionen verlorene Jobs vorausgesagt, tatsächlich beschränkten sich die Auswirkungen auf geringfügige Beschäftigungen. Zudem sei es in vielen Fällen gelungen, Minijobs in reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse umzuwandeln.
Auch in der Tarifpolitik habe sich der Mindestlohn nicht negativ ausgewirkt. Die Tarifparteien hätten nach der Erhöhung auf 12 Euro entsprechend nachgezogen, was in vielen Niedriglohnbranchen zu deutlichen Lohnsteigerungen geführt habe.
Mit der neuen Berechnungsmethode steht Deutschland vor einer deutlichen Mindestlohnanhebung. Die Anpassung könnte den Mindestlohn auf rund 15 Euro anheben, um den international anerkannten Referenzwert von 60 Prozent des Medianlohns zu erreichen. Die kommenden Entscheidungen der Mindestlohnkommission werden zeigen, inwieweit dieser Zielwert umgesetzt wird – und ob damit die Lohnentwicklung fairer und gerechter gestaltet werden kann.